Eine schlimme Begegnung - Liebesselbstmord by Georges Eekhoud
Autor:Georges Eekhoud [Eekhoud, Georges]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783939542445
Herausgeber: Männerschwarm Verlag
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Liebesselbstmord
Es geschah selten, dass Marcel Gentrix, der sonst nur seiner Liebhaberei für die Kunst lebte, eine Einladung annahm, â schon der Gedanke allein an gegenseitige Vorstellungen, gezwungene Liebenswürdigkeiten und uninteressante Gesichter verursachte ihm Unbehagen â aber diesmal fügte es der Zufall, dass er die Bekanntschaft eines englischen Gentlemans namens Lawrence-Frank Whittow machte.
Das geheimnisvolle, rätselhafte Antlitz des Fremden hatte seine Aufmerksamkeit erregt, ebenso wie ihn ein seltener Kunstgegenstand, eine antike Münze, ein ausgegrabenes Musikstück reizte. Ohne zu ahnen, unter welch seltsamen Beeinflussungen die Seele Frank Whittows zu leiden hatte, fühlte er, der unechte Misanthrop, instinktiv in ihm einen jener stolzen Menschenfreunde und Weltbeglücker, eine jener Ausnahmenaturen, die sich auf sich selbst zurückgezogen haben, weil sie nicht imstande sind, das innere Fegefeuer der Leidenschaft, das sie verzehrt, auf eine erlesene Auswahl von Sterblichen zu übertragen.
In den Augen der Welt galt Sir Lawrence für einen jener drei oder vier Zeitgenossen, denen man das Epitheton: âºWeisheitsbronnenâ¹ hätte beilegen können; im Mittelalter hätte er für einen Adepten, für einen zweiten Doktor Faust gegolten.
Eine Reihe gewaltiger Entdeckungen auf dem Gebiete der Naturwissenschaften hatten ihn mit einer Gloriole von Ruhm, ja fast von Schrecken umgeben. An diesen Menschen mit den zarten, bleichen Zügen, mit der dunklen, ernsten Stimme knüpfte sich ein eigener Zauber, wie er die Hexenmeister und Wundertäter umkleidete, und obwohl seine Entdeckungen schon merkwürdig genug waren, ja manche lange bestehende Ansicht geradezu umstürzten, so erwartete doch die Gelehrtenwelt, die sich mit der Erforschung geheimer menschlicher Seelenprobleme beschäftigte, von seinem Genie noch viel Wunderbareres.
Hätte auch nicht jener zauberhafte Nimbus ihn umgeben, so hätte schon seine Physiognomie die vertrauliche und indiskrete Annäherung Unberufener fern gehalten; obwohl er dreissig Jahre zählte, so sah er mitunter wie achtzehn, zu anderen Malen wie fünfzig aus.
Um den Eindruck zu definieren, den das charakteristische Ãussere des Baronets auf Marcel machte, konnte er keinen besseren Vergleich finden als einen tropischen Himmel an einem jener kritischen Tage, wo gewaltige, verderbenbringende Unwetter mit allzu glühend strahlender Sonnenhitze abwechseln.
Sir Lawrence hatte tiefschwarze Haare, einen wenig gepflegten Schnurr- und Kinnbart, schmale Lippen von leicht sardonischem Ausdruck; das Bemerkenswerteste an ihm aber waren seine intensiv blauen Augen, durchdringende hoheitblickende, befehlende Augen, wie die eines Magnetiseurs, in denen zuweilen etwas Unheildrohendes aufblitzte, wie es die Neapolitaner den âºJettatoriâ¹ zuschreiben.
Marcel Gentrix versicherte mir oft, namentlich in der ersten Zeit seines Verkehrs mit dem merkwürdigen Fremden, dass es ihm vorkäme, als sei dessen ganze Persönlichkeit von einem seltsam überirdischen inneren Licht erhellt, als ob Ideen in ihm aufleuchteten, als ob ein seelisches Fluidum in ihm sichtbar würde; ja an gewissen Tagen innerer Erregung stieg diese Konzentration psychischer Strahlen in Sir Lawrence derart, dass die Gegenstände seiner Umgebung sich gleichsam verwischten, verblassten, in Dämmerung versanken.
Um mich des pittoresken Ausdrucks meines Freundes zu bedienen, es war, als bärge sich die Sonne im Innern dieses Menschen.
*
Zur allgemeinen Ãberraschung beehrte Sir Lawrence-Frank Whittow Marcel Gentrix mit zahlreichen Besuchen. Man scherzte selbst, insofern man über den englischen Gelehrten zu scherzen wagte, über die plötzliche Freundschaft dieser beiden schweigsamen und verschlossenen Naturen. Zuerst drehte sich ihre Unterhaltung
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